Letzter Tag der Sommerferien, wir sitzen in einer lieblichen Land-Pizzeria in Süditalien, draußen im Garten. Die Sonne verschwindet träge und blutrot hinter dem Horizont und die flirrende Hitze des Tages weicht einer angenehmen Wärme. Zwei Glas Weißwein, Spaghetti Vongole, davor Bohnen mit Tunfisch, danach Tiramisu. Nie hätte ich gedacht, dass sich hier gleich ein Real Live Porno abspielt…
Die Pizzeria liegt geografisch zwischen einem großen Luxushotel und einem kleinen Campingplatz und so ist auch das Publikum: bunt gemischt. Italienische Großfamilien, deren Bambini im angrenzenden Spielplatz lautstark über die Rutsche toben, verliebte, jüngere Paare, ein bekannter Schmuckdesigner mit seiner blutjungen Geliebten, ein paar Hotelangestellte, die hier nach Feierabend noch ein schnelles Glas Wein am Tresen trinken.
Wir genießen die entspannte Atmosphäre, diskutieren ein bißchen über deutschen Rap, aber eigentlich machen wir People Watching. Was all diese Leute wohl im normalen Leben, außerhalb der Ferien, so treiben. Welche Berufe sie ausüben, wie sie gekleidet sind, welche Lebensumstände sie umgeben.
Der berühmte und pikanterweise verheiratete Schmuckdesigner ist natürlich besonders interessant. Seine bildhübsche Begleitung guckt die ganze Zeit genervt und blasiert und behandelt die kleine Bedienung mit einer unsympathischen Arroganz. Schon nach dem Vorspeisen Prosciutto zahlt der Schmuckdesigner und verschwindet mit seiner hochnäsigen Zicke in einer schwarzen S-Klasse, die hollywoodreif vor der Pizzeria vorfährt. Großes Kino.
Am Tisch vor uns sitzt eine italienische Freundestruppe im Studentenalter, die Pupillen dramatisch geweitet vom kiffen. Sie lachen und kichern und verputzen eine Pizza nach der anderen. Auch hier: That’s Entertainment!
Die einzigen uninteressanten Menschen – so scheint es – sitzen uns schräg gegenüber. Ein Paar im mittleren Alter, zwischen 45 und 55 Jahre alt, die Nationalität ist schwer zu identifizieren, jedenfalls keine Deutschen. Sie tragen beide das Gleiche, Bermudashorts mit Polohemd, der Mann hat eine Submariner am Handgelenk, die Frau eine Speedy neben sich stehen. Gehobene Mittelklasse. Das Paar schweigt sich fast die ganze Zeit an, nur wenn die Speisen oder Getränke serviert werden, kommt eine kleine Konversation in Schwung, die nach ein paar Sätzen wieder abebbt. Wie langweilig denke ich, SO möchte man nicht enden, mit dem Ehemann schweigend im Romantik-Restaurant.
Und dann passiert es. Der Mann nimmt sein Handy und fängt an, darauf zu tippen und zu surfen. Seine Frau stochert derweil lieblos auf ihrem Spaghetti-Teller weiter. Da ich schräg hinter dem Mann sitze, schaue ich zwangsläufig direkt auf sein Display.
Der Mann surft auf Grinder, einer schwulen Dating App. Er schaut sich Schwänze an, erigierte große Schwänze in Nahaufnahmen, muskelbepackte, haarige Männeroberkörper und Sex-Szenen mit einem oder mit mehreren Männern, dazwischen immer krasse Nahaufnahmen mit Leder, Peitschen und Metallringen. Porno. Während die Gattin seelenruhig ihren Eiscremebecher verspeist, guckt der Gatte Porno und versucht ein Sex Date auf die Beine zu stellen. Ich kann es nicht fassen.
Weiß die Frau das? Ist sie seine Komplizin, seine Eingeweihte, die Dritte im Bunde einer exzessiven Liebesnacht? Ist das ein Spiel? Ein Vor-Spiel??
Oder ahnt die Frau nichts und denkt, ihr Mann checkt Börsenkurse oder den Spielstand von Inter Mailand? Warum sitzt sie seelenruhig ihrem Gatten vis a vis und schaut ermattet in der Gegend herum, während ihr Mann sich an Schwänzen aufgeilt?
Ist die Ehefrau abgestumpft? Lesbisch? Guckt ihr Mann öfter beim essen Porno? Ist er schwul oder bisexuell? Was ist das für eine Beziehung? Eine offene Ehe? Leben beide ihre Sexualität ehrlich aus? Ist das ein Paar am Anfang einer erotischen Extravaganza? Oder am Ende einer verlogenen Pseudo-Ehe?
Es ist spannend und traurig zugleich, da zu zusehen. Ich schäme mich, weil ich unfreiwillig Zeuge dieses skurrilen Abendessens bin. Ich bin eine Spannerin. Aber ich muss immer wieder gucken, nein glotzen, und natürlich bemerkt der Mann den Blick in seinem Nacken irgendwann.
Zack, dreht er sein Handy um, sodass das Display nicht mehr zu sehen ist. Er wendet sich um, ich gucke ostentativ und panisch in die andere Richtung, vielleicht merkt er ja nichts. Ich versuche mich wieder auf die Rapper Diskussion zu konzentrieren und stiere mit Tunnelblick auf unsere Tiramisu.
Als ich wieder aufschaue, ist das Paar gegangen. Gottseidank. Alles bleibt anonym. Und dann beginnt eine Diskussion, mit der ich nicht gerechnet habe. Es geht um die „Ehe für Alle“ , die ja alle irgendwie befürworteten und die genau das ist, was wir gerade beobachten konnten. Dieses Ehepaar ist normal – aber meine Bewertung ist es nicht!
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