Sein Blick traf mich mitten ins Mark, erschütterte mich, ein sanftes Kribbeln überrollte meinen linken Unterarm und ich wußte: etwas Neues fängt an.
Benny, mein Ältester hatte gerade ein Tor geschossen, alle jubelten, aber in dem Moment schaute ich nicht Benny an, sondern Henry, seinen Fußballtrainer. Und er mich. Unsere Blicke trafen sich, hielten sich, zwei Herzen auf gleicher Frequenz.
Ich bin eine erwachsene Frau, 39 Jahre alt. Ich bin kein dummer Teenager. Ich weiss, wann ein Gefühl gültig ist. Ich sah es, ich wußte es, dass Henry in mich verliebt ist. Er musste es nicht sagen. Es war klar.
War es eine gezielte Provokation, war es Zufall, waren es einfach nur die Überredungskünste der jungen Verkäuferin – ich hatte mir am Tag zuvor ein neues Outfit gekauft. Einen Jeans-Mini. Und ein rosafarbenes Top. Ich sah zum ersten Mal seit langer Zeit wieder wie eine junge Frau aus. Und nicht wie die gediegene Gattin des bekannten Rechtsanwaltes.
Ich war ein bißchen aufgeregt, als ich das neue Outfit zum Fußballspiel trug. Ich wußte ja, dass alle da sein würden. Die anderen Fußball-Mütter, Kira, meine beste Freundin – und natürlich Henry. Der süße Fußballtrainer, neu in der Stadt, unglaublich gutaussehend – und vor allem lustig.
Ich mochte seinen unbekümmerten Charme und seine positive Art von Anfang an – wie jede andere Fußball-Mutter auch. Henry kann Leute mitreißen. Er war zu allen so….nett. Höflich, offen, interessiert, einfach ein mega Typ, den man gerne um sich hatte. Und er sah mich besonders gerne.
Ja, ich habe mit dem Feuer gespielt, ich wollte, dass Henry MICH und nur MICH toll findet und deshalb zog ich den kurzen Rock an. Ein kleiner Flirt, was ist denn schon dabei? War ich ehrlich zu mir? Nein. Ich spielte mit dem Feuer, aber ich erlaubte mir nicht, das so klar zu sehen. Ich verschloss meine Augen, aber ich öffnete mein Herz. Wer zündelt, kann verbrennen. Ich brenne. Lichterloh. Für Henry.
Nach dem magischen Blickaustausch passierte erstmal nichts. Scheue Blicke beim Training, Hallo, wie geht’s, Floskeln. Aber wir mußten nicht reden, ich sah ihn an, er sah mich an, wir kicherten, es war so harmlos damals.
Ich hätte es dabei belassen können. Ein kleiner Flirt, nichts dabei. Aber ich ließ es geschehen, ließ es laufen, dass aus einem einzigen Blick ein ganzen Leben, MEIN Leben und auch das Leben meiner Kinder und meines Mannes jetzt eine andere Richtung nimmt. Ich habe die Beziehung, wie auch immer sie aussehen sollte, zu Henry gewollt. Ganz tief in mir drin war eine Sehnsucht, die 39 Jahre lang vom Alltag meines lauwarmen Mc-Lebens zugedeckt war. Die Sehnsucht nach…MIR. Nach MEINEM Leben. Ich werde nächstes Jahr 40. Eine Zahl wie ein Schafott. 40, das ist nicht mehr jung. Es ist aber auch nicht alt genug, sich der Gewohnheit zu ergeben. Alles so zu belassen, wie es ist. Es ist die letzte Chance. Jetzt oder nie. Und deshalb gehe ich den Weg weiter. Ich kann nicht umkehren. Ich will es auch nicht. Ich blende alles andere, alle Probleme, alle Gefühle, alle Meinungen, einfach alles Störende aus meinem Kopf aus, ich bin im Tunnel und am Ende ist Licht, Feuer, Henry.
Das erste gemeinsame Abend, irgendwann nach dem Training. Wir tranken im Vereinsheim Schorle. Wir redeten und redeten, Stunden kamen uns wie Minuten vor, das Vereinsheim schloß, wir wollten noch beisammen bleiben. Komm mit zu mir sagte Henry. Du wirst es lieben!
Henrys Wohnung ist ein Knaller, eine winzige Schuhschachtel mit einer Kochnische, die nur 2 Herdplatten hat und das Badezimmer verdient den Namen nicht. Aber es hat eine kleine Wendeltreppe und die führt auf eine verwunschene Dachterrasse, auf der kleine Beete stehen und eine Lounge Ecke mit einem Kühlschrank. Der Blick geht über die ganze Stadt man sieht die Kirchtürme und in der Ferne den Fluß. Es ist atemberaubend dort oben, man würde so eine coole Wohnung nie in unserer spießigen Stadt erwarten, Berlin Mitte vielleicht, aber bei uns? Ich fühlte mich elektrisiert. Am Leben. Jung.
Henry spielte Musik. Ruhig, gedämpft, sanft und cool. Höre ich gerade, sagte er, RIN. „Der Scheiss ist weiß, Bianco.“ Es geht darin um Drogen. Henry kennt sich da aus, er hat früher selber welche genommen. Er erzählte mir davon, wie er langsam abrutschte, wie er sein Leben fast ruiniert hätte, wie er von der Kifferei wieder los kam, den Sport entdeckte und wie er Lebensmut durch seine Arbeit als Fußballtrainer schöpfte. Ich sah Henry plötzlich mit anderen Augen. Ich bekam Respekt vor ihm, fast Hochachtung, was er in so jungen Jahren alles erlebt und gemeistert hatte.
Der Scheiss ist weiss, Bianco. Wir hörten den Song die ganze Nacht, er wurde „unser“ Song. Wir tranken Bier, wir schauten in den Himmel, es war romantisch – aber es wurde auch spät und später und ich musste irgendwann nachhause. Henry nahm mich in den Arm. Wir sahen uns lange in die Augen. Wir versanken im Blick des anderen. Wir verliebten uns. Aber wir küssten uns nicht, es wäre zu profan gewesen. Und ich hätte es vielleicht auch nicht zu gelassen. Dieses nicht-küssen war die höchste Respektsbezeugung. Henry wollte MIR den Zeitpunkt und die Entscheidung darüber überlassen.
Ich kam nachhause, stieg leise und auf Zehenspitzen in mein Ehebett. Thomas schlief tief und fest, wachte kurz auf, fragte, wo kommst Du denn her, aber wartete die Antwort nicht ab, sondern drehte sich um und schnarchte weiter. Ich war hellwach. Gepeitscht von einem Cocktail aus überbrodelnden Glücksgefühlen und rabenschwarzem Gewissen. Ich hatte Thomas betrogen, obwohl da gar nichts war. Ein kleiner Flirt, was ist schon dabei?