Beitragsfoto: Copyright Wertheim Village, @langhaarmädchen
Susanne hat einen neuen Freund. Er ist perfekt. Selbstverständlich schwerst vermögend, Haus, Boot, Porsche, zwei erwachsene Kinder im Studium, und hat sie gleich nach 3 Wochen Dating zu einem romantischen Weekend nach Paris eingeladen.
Das mit den „Kindern im Studium“ ist deshalb wichtig, weil der Freund davor, auch reich und so weiter, der Freund davor hatte also Schulkinder, die Susanne die Hölle heiß machten. Beziehungsweise Susannes Kindern die Hölle heiß machten.
Susannes Kinder sind ein Ausbund an Liebreiz und Wohlerzogenheit – denkt sie. Ich sage, es sind schlimme Nervensägen, aber gut….jedenfalls war nach einem Dreiviertel Jahr Paradies mit der neuen Patchwork Familie plötzlich Schluß.
Aus heiterem Himmel – für Außenstehende. Man war noch in einem gemeinsamen Ski-Urlaub in Lech, mit ALLEN Kindern, naja, da gab es wohl Ärger…irgendwas mit nicht gekauften Chloe Taschen….
Und jetzt der neue Freund. Nur 3 Monate nach dem Aus mit dem letzen ist Susanne wieder total verliebt, schwärmt wie ein Teenager. Ich erinnere mich an meine letzte Trennung, vor 20 Jahren war das, ich konnte ein Jahr lang schlecht schlafen, ich heulte, war verzweifelt, an einen neuen Mann war nicht zu denken, denn ich liebte den alten ja noch…..
Da sieht man mal, manche Frauen schalten ihre Gefühle aus wie elektrisches Licht. Zack, der Kippschalter. Happy Susanne.
Der neue Freund und das Wochenende in Paris. Alles aus dem Bilderbuch. Mit Privatjet, Chauffeur, Suite im Ritz und dem obligatorischen Shopping Bummel zu Chanel in die Avenue Montaigne.
Ich kann mir das alles nicht mehr anhören. Dieses sozial Geprotzte, immer nur das Beste und Tollste. Susannes Kinder, 2 Mädchen, 13 und 15, schreiben selbstverständlich nur Einser, sind die besten im Skikurs, Tennis, Hockey, spielen Klavier und Querflöte – auf Konzertniveau. Irgendwelche Mathewettbewerbe habe sie auch schon gewonnen und ihre Freundinnen kommen aus den besten Familien der Stadt. Muss ich erwähnen, dass die ihre Hausaufgaben immer von alleine erledigen, abends früh zu Bett gehen, und Pubertät ein Fremdwort ist?!
Susanne hat ja auch den besten Geschmack – sie macht mir regelmäßig Vorschläge, wie ich mich kleiden soll. Ernsthaft. MIR!!! Und natürlich hat sie ihre – das muss man zugeben – fabelhafte Figur: „von Natur aus. Weißt Du, ich LIEBE Pizza und Sahneeis, aber ich nehme einfach nicht zu.“ Blöde Kuh. Das ist natürlich gelogen. Sie macht Sport bis zum abwinken, täglich 2 Sessions, 1 Stunde joggen, 1 Stunde schwimmen. Und dann ißt sie den ganzen Tag nichts. Nur wenn wir uns treffen, dann tut sie so, als würde sie Berge verschlingen. Und ermahnt MICH, mehr zu essen, weil ich so dünn aussehe.
Am frechsten aber ist die Lüge um ihren Busen. Um ihre Lippen und die aufgeplusterten Wangenknochen. Alles echt natürlich. Dabei muss man sich nur die Fotos von vor 4 Jahren ansehen. Da sieht man die Wahrheit. Mir ist der Busen von Susanne ehrlich egal, auch kann sie Botox machen, aber warum gibt sie es nicht zu? Wenigstens MIR, einer Freundin gegenüber könnte sie doch ehrlich sein.
Aber Susanne ist nicht ehrlich. Nicht zu mir – und vor allem nicht zu sich selbst. Das ist das schlimmste. Sie lebt in einer Blase von Lügen und Schönfärberei. Kein Mensch ist perfekt. Keine Familie ist das ganze Leben lang heil und happy. Es gibt Höhen und Tiefen. Überall. Immer. Auch bei Susanne.
Als sich ihr Mann von ihr trennte, vor 5 Jahren, gab es eine kurze Phase der Ehrlichkeit. Davor war alles immer Eitel Sonnenschein und jetzt ist es wieder so. Aber für einen kurzen Moment war Susanne aufrecht und ließ die Hosen runter wie man so sagt. Sie war…ein Mensch.
In der Zeit freundeten wir uns auch an. Davor kannten wir uns flüchtig, begegneten uns bei diversen Society-Events, unsere Männer hatten vor Ur-Zeiten geschäftlich zu tun. Ich mochte die „schwache“ Susanne. Sie war klüger, als sie nach außen tat, sie war herzlich und von Herzen bemüht eine gute Mutter zu sein. Die Kinder litten unter der Trennung, es gab schlimme Szenen, Eifersuchtsattacken, die kleine Tochter bettnäßte wieder. Susanne rief mich täglich an oder kam vorbei. Ich war ihr Kummerkasten. Wir fuhren sogar zusammen ein paar Tage in die Berge zum wandern. Normale Sachen machten wir. Weintrinken mit Käsebrot. Kaffeekränzchen. Shoppen.
Es ist gemütlich, mit wohlmeinenden Freundinnen über Kinder, Wackelvierer, blöde Ehemänner, schlampige Haushaltshilfen oder einfach nur über Mode zu diskutieren – und sich eine ehrliche Meinung zu holen. Vielleicht auch Rat und Hilfe.
Keine Ahnung, warum sich Susanne wieder drehte. Wieder in das alte Mrs.Perfect Schema verfiel. Vielleicht war der „Coach“ daran Schuld, den sie konsultierte. Es ist ein Psychologe, der mit ihr eine Therapie durch führte. Ostentativ alles toll finden, „akzeptieren“ und so weiter. Naja.
Ich merke: ich bin mit Susanne nicht befreundet. Nicht wirklich. Es ist keine „ehrliche“ Freundschaft, es ist nur eine Bekanntschaft. Weichgespült mit Instagram Filter Oslo. Möchte ich mit Susanne tauschen? Um nichts auf der Welt. Mein Kind ist wahrlich kein High Performer, aber ein super Typ, auf den ich sehr stolz bin. Mein Mann trägt mich nicht auf Händen – aber ist da. Und wenn ich ihn brauche, nimmt er mich liebevoll in den Arm.
Ich will nicht mehr so eng mit Susanne sein. Denn jedes Treffen und jedes Telefonat zieht mich metal runter. Sie die Tolle, ich das Aschenputtel. Blablabla. Selbstbeweihräucherung. Als wir gestern telefonierten, sagte sie zum Schluß: wir müssen uns wieder öfter sehen, danach habe ich immer so gute Laune. Es klang wie eine Drohung.
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Im Trennungsfall sind die meisten Menschen interessant. Es gibt nur ein kurzes Zeitfenster, in dem wieder alles möglich wird, die Verunsicherung entkoppelt alte Gewissheiten, neue Möglichkeiten kommen und das strahlt auch auf einen selber aus. Die Zeit der Unsicherheit ist ehrlich. Auch ich war in meiner Trennungszeit bedeutend interessanter als jetzt, wo alles schon lange ziemlich gut läuft.
Manche Menschen passen nur in dieser Zeit zusammen, sonst finden sie es illoyal, mit der Freundin über den Partner herzuziehen – und umgekehrt – und meinen, das große Los gezogen zu haben. Wie ehrlich man mit sich umgeht, liegt auch oft daran, ob das in der Kindheit akzeptiert wurde, so ein Verhalten ist oft anerzogen und sie fühlen sich gut damit. Aber für die eigene Seele ist immer gut zu wissen, mit dem man Kontakt haben will. Sie selbst findet ja ebenfalls deine Unperfektheit spannend, nur du kannst von ihr nicht dasselbe haben. Es sind nie die anderen, die halt sind wie sie sind, es ist immer die eigene Wahl, welchen Energien man sich aussetzen will und wo man seine lassen will.
Ich finde auch nicht schlimm, die Freundschaft nur auf die Trennungszeit zu begrenzen, dort passte es ja und war echt. Dann geht es halt wieder auseinander. Es ist auch eigene Ehrlichkeit, entsprechend zu handeln – falls das kein Ausgleich für einen evtl. Unterhaltungseffekt ist. Das man sich danach schlecht fühlt, sollte dann allerdings nicht sein, im Gegenteil. Dafür bist du wiederum die falsche Person, aber sie hat offenbar die bessere Wahl getroffen, wenn es sie aufbaut, du aber nicht, wenn es dich nervt und auch weh tut.
Liebe Elaine, danke für diesen ausführlichen und lebensklugen Kommentar. Um ganz persönlich zu werden: es nicht das erste Mal, dass ich eine zuverlässige Trösterin war und danach die „Freundschaft“ erlosch oder erlahmte. Aber es ist wie es ist und ich MUSS ja nicht die Trösterin sein, offensichtlich WILL ich sie sein und es bringt mir zumindest das befriedigende Gefühl, etwas Gutes getan zu haben.
Dennoch mag ich grundsätzlich Freundschaften, die ein Leben lang halten. Wobei diese wirklich sehr sehr selten sind.
Lieben Gruß
Annette