Frau Müller heißt natürlich nicht Müller, sie hat einen anderen Namen, auch recht gewöhnlich, aber eben nicht Müller. Wir nennen sie der Einfachheit halber Lischen Müller. Denn das hier, das muss anonym bleiben.
Lischen Müller ist Mitte Dreißig, sieht ganz gut aus, ist groß und trainiert. Sie hat eine Affäre mit unserem obersten Chef und das lässt sie raushängen. Unser oberster Chef ist verheiratet, das schon, aber seine Frau und seine Familie leben nicht in Deutschland, sondern in der Schweiz und da fährt unser Chef am Wochenende dann hin. Unter der Woche ist Lischen Müller seine Geliebte. Und am Weekend ist die Ehefrau dran.
Ob sie von seiner Affäre weiß? Die ganze Abteilung tuschelt davon. WIR wissen es. Seine Frau kann es also auch wissen. Aber vielleicht will sie es nicht wissen. Vielleicht ist es ihr egal. Weil sie sich an das angenehme Leben mit ihm gewöhnt hat. Das tolle Haus, das große Auto, die vielen Ferienreisen an exotische Ziele und die 4 Kinder gehen auf private Schulen. Sagt man. Vielleicht will die Frau auch nichts von der Affäre wissen, weil sie ihn ohnehin nicht mehr liebt, er ist auch nicht liebenswert, sondern ein Volldepp, aber sie hat ihn irgendwann mal geheiratet, also war sie mal in ihn verliebt. Oder sie hat ihn aus Berechnung genommen, dann geschieht es ihm recht.
Lischen Müller geschieht …nichts. Sie führt sich auf. Die Affäre ist ihr zu Kopf gestiegen. Sie glaubt, sie kann sich alles erlauben. Nein. Falsch ausgedrückt. Sie ERLAUBT sich alles. Sie kommt morgens IMMER zu spät. Manchmal sind es 10 Minuten, manchmal auch 20. Unser Abteilungsleiter traut sich aber nicht, etwas zu sagen. Denn wenn sie kommt, dann lächelt sie seelig, so ganz ostentativ, und sagt dann, dass XYZ, also unser oberster Chef, mal wieder „so getrödelt hat“ und das „so“ dehnt sie lange und genüsslich, dass sich jeder denken kann, womit der sich wohl so lange beschäftigt hat.
Offensichtlich teilt unser oberster Chef mit Frau Müller aber nicht nur das Bett, sondern auch wichtige Betriebs-Interna. Denn oft, wirklich oft, macht sie Andeutungen, das dieser oder jener nicht gerade gut angesehen ist, einen großen Fehler gemacht hat und jetzt besonders aufpassen muss, sonst Kündigung. Frau Müller nennt dabei aber nie Ross und Reiter. Sie macht Andeutungen. Das ist viel schlimmer.
Wir arbeiten übrigens, das habe ich noch nicht erwähnt, in einem großen Modehaus in einer mittelgroßen deutschen Stadt. In unserer Abteilung gibt es mittlerweile zwei Fraktionen. Die einen denken, sie müßten sich mit Lischen Müller gut stellen, damit sie für ein gutes Wort beim Chef einlegt. Die schleimen sie richtiggehend an. Dazu gehört – leider – auch unser Abteilungsleiter. Es ist jämmerlich, wie er die Augen zu drückt, wenn sie zu spät kommt. Oder die Mittagspausen ewig überzieht. Oder früher geht. Oder sich mit ihrem Handy beschäftigt, statt mit der Ware, die etikettiert werden muss. Oder sich um die Kunden kümmert. Bedient. Oder die Ware zurück hängt. Bei uns anderen gibt’s sofort Ärger. Bei Lischen Müller….Schweigen.
Sie bedient auch nur Kunden, die sie bedienen WILL. Kunden, wo man schon sieht, die Frau hat Geld und eine einfache Figur. Die kauft jetzt ordentlich was. Die schwierigen Kunden, die alten, die dicken, die spießigen, die die oft kommen, aber nur quatschen wollen, all diese Problemfälle überlässt sie uns. Sie macht das ganz geschickt, tut so als hörte sie es nicht, wenn die Kunden sie rufen. Oder geht unter einem Vorwand ins Lager.
Viele meiner Kolleginnen meiden Lischen. Aber das ist ihr egal. Im Gegenteil. Sie benimmt sich erst recht schlimm. Unlängst ging es um die Urlaubsplanung in unserer Abteilung. Wir sind 9 Festangestellte und 5 Aushilfen, wer Kinder hat – ich habe 2 – darf sich zuerst in die Liste eintragen. Damit man Urlaub machen kann, wenn die Kinder Schulferien haben. Die Liste wird normalerweise Mitte Dezember ausgehängt. Diesmal hat Lischen die Liste ausgehängt. Ende November. Und hat sich ihren Urlaub exakt über die Osterferien gelegt. Wenn meine Kinder frei haben und keine Betreuung. Sie sagt, sie hätte die Reise schon gebucht, könne nicht zurück treten – oberster Chef hätte ihr es genehmigt. Nachprüfen? Wer traut sich das denn?
Sie war auch zweimal schon auf der „Mode-Messe“ in Berlin. Was macht sie da? Sie ist eine einfache Verkäuferin, nicht mal Stellvertretung. Warum darf sie nach Berlin, zur Messe, wo wir alle gerne mal hin würden? Kunden treffen – macht sie dort. Sagt sie nebulös. Welche Kunden denn? Und was sollen die von ihr, dem kleinen Lischen Müller, wollen?
Jeder weiß, warum Frau Müller nach Berlin reist. Reisen darf. Weil der oberste Chef dort ist. Da machen sich die beiden ein paar romantische Tage auf Betriebskosten. Es ist nicht zu fassen.
Es ist eine Charaktersache. Lischen Müller hat einen schlechten Charakter. Sie leiht sich Geld von Kolleginnen und behauptet dann sie hätte es zurück gegeben. Was aber nicht stimmt. Mit dieser Masche hat sie schon die ganze Abteilung begaunert. Sie beteiligt sich auch nicht an den Geschenken, die wir uns gegenseitig zum Geburtstag schenken. Es sind ja nur Kleinigkeiten. Jeder gibt ein paar Euro. Aber Lischen will jedesmal etwas extra schenken – was dann nie passiert. Sie drückt sich also davor. Oder sie hatte sich von einer Kollegin eine Tasche geliehen, die ihr gefiel. Gab sie mit einem Brandflecken zurück. Ohne Entschuldigung.
Mittlerweile glaube ich, dass schlechtes Benehmen wie eine Drogensucht verläuft. Die Dosis muss ständig erhöht werden. Lischen Müller benimmt sich zunehmend rücksichtsloser. ABER. Irgendwann, IRGENDWANN, wird sie damit nicht mehr durch kommen. Irgendwann wird einer kommen und STOPP sagen. Bis es soweit ist, freuen wir uns alle auf Weihnachten. Das ist unsere Rache. Wir gehen am 24 alle zu unseren Familien heim. Zu den Kindern, zu unseren Männern. Lischen Müller wird alleine da sitzen. Oberster Chef feiert mit SEINER Familie. Lischen wird traurig sein, einsam und allein. Sie wird dann niemanden anrufen können, weil sie alle, alle vergrault hat.