Als Susanne in ihre Straße fährt, steht Klaus Auto vor der Tür. Sie weiß, was das bedeutet: Stress. Das elektrische Tor ist wieder nicht aufgegangen, trotz Handwerkerbesuch, deshalb hat Klaus das Auto direkt vor der Garage geparkt. Als sie rein kommt, steht er in der Küche, hat sich ein Käse-Brot gemacht, guckt sie giftig an und dann kommen die üblichen Anschuldigungen, Zurechtweisungen, Vorwürfe, was machst Du eigentlich den ganzen Tag für MEIN Geld…sie lässt alles gefasst über sich ergehen, jetzt keine Diskussion, sie nickt schuldig, ab und zu brummt sie Entschuldigung, kommt nicht mehr vor und dergleichen, sie will nur noch, dass er aufhört mit dieser nicht mehr zu ertragenden Welle seiner eigenen Unzufriedenheit.
Klaus, das war mal ein guter Typ. Einser Schüler wie sie. Fleißig und pflichtbewußt. Wie sie. Er spielte gut Klavier und ab und an Sonntags in der Kirche die Orgel, da war sie stolz auf ihn. Sie hatten zusammen fürs Abi gelernt und waren sich dadurch näher und bei der Abi-Feier dann zusammen gekommen. Klaus war erst der zweite Mann in Susannes Leben. Das Gegenteil von August, Spitzname Impi, den sie gerade in der Stadt nach 20 Jahren wieder getroffen hatte.
Susanne dachte an August, an seine Fragen, seine Worte, seine Neugier, seinen coolen Mantel. Er war in ihrem Kopf und sie musste über ihn sprechen.
„Du ahnst nicht, wen ich heute in der Stadt getroffen habe?“
„Wen denn?“
„Impi!“
„August? Diesen durchgedrehten Pleitegeier? Was macht der denn hier? Drogen verkaufen??….“
Susanne biß sich auf die Lippen und sagte nichts mehr. Es war nicht nur gemein, sondern auch unnötig, was Klaus da zum besten gab. Sie ärgerte sich, dass sie überhaupt etwas gesagt hatte. Ja, das Thema „Impi“ hatte damals lange zwischen ihr und Klaus gestanden. Ja, sie hatte August nach getrauert. Aber nach 20 Jahren….
In dem Moment kommt Celina, die älteste Tochter aus ihrem Zimmer, zusammen mit ihren Geschwistern, sie haben für Weihnachten eine kleine Aufführung vorbereitet, da freut sich Susanne jedes Jahr darauf. Kommt, wir machen uns einen Weihnachtstee ruft sie und lenkt vom Thema August ab.
10 Tage vorher, 24.Dezember
Susanne stellt das letzte gespülte Glas zurück in die Vitrine. Ein Riedel Glas, gekauft für bessere Anlässe wie heute, Heilig Abend. Mutter, Schwiegermutter und die Töchter haben beim Abwasch geholfen, so dass es schnell ging. Sie scherzen über die Socken von Papa mit den Totenköpfen drauf, was für ein Geschenk, ob er die Socken wohl in der Klinik trägt…
Susanne ist froh, dass der Abend harmonisch über die Bühne ging. Einigermaßen. Seit ihr Schwiegervater das Schreibwarengeschäft aufgeben mußte, ist er verbittert geworden und lässt seinen Groll an den Kindern aus, die in seinen Augen nichts richtig machen. Celina trägt zu kurze Röcke, Mats, ihr Sohn, soll nicht Fußball spielen, das machen nämlich nur Proleten und Sophie, ihre Mittlere, geht „nur“ auf die Realschule, ein explosives Dauerthema der Familie und ein Stich ins Herz ihres Vaters, denn der besuchte ja nur eine Volksschule, also noch weniger, und fühlt sich vom Schwiegervater indirekt beleidigt. Der schwelende Konflikt führte letztes Jahr schließlich, ausgerechnet an seinem 60.Geburtstag, zu einem grauenvollen Eklat. Susanne ist froh, dass sich die Wogen geglättet haben. Einigermaßen wenigstens.
Sie denkt an Impi, an August, den sie jetzt täglich gesehen hat. Auch heute Morgen wieder, nur kurz im Café, schnell Frohe Weihnachten wünschen und dann wurden es doch wieder 2 Stunden. Zwei herrliche Stunden, sie sprachen über das ideale Weihnachten.
Susanne hätte gerne mal frei. Sie würde sich mal gerne ausruhen, irgendwo in einem Skiort und sich bedienen lassen und nicht für 9 Personen einen Rehrücken zubereiten müssen und am ersten Feiertag die Gans und am zweiten Feiertag kommen wieder ALLE und es gibt Lachs und danach ist sie erst recht urlaubsreif.
August lacht, er feiert seit langem mal wieder in Deutschland Weihnachten, er freut sich auf den Christbaum, die Kerzen, er hat Kaviar gekauft, nein, er hat ihn bestellt, Kaviar kann man also bestellen, Susanne hat noch nie Kaviar gegessen und sie stellt sich vor, wie August mit seiner Mutter in dem großen und schönen Haus sitzt, klassische Musik hört oder Jazz, sie malt sich aus, wie er Kaviar ißt und Champagner trinkt. Bestimmt auch aus Riedel Gläsern. Wenn nicht besser. Ob das Haus noch so nobel aussieht, wie damals, als sie Impis Freundin war? Mit all den Büchern, der Kunst, den feinen Möbeln und Fotos, die Impis Mutter mit bekannten Persönlichkeiten und Politikern zeigten?
Susanne erinnert sich genau an das erste Mal in Impis Haus. Sie musste ein paar Mal klingeln, weil niemand die Tür öffnete, dann stürzte seine Mutter heraus, sorry, ich hab ein Band abgehört, hab das Klingeln nicht gehört….sie war lässig und gut aussehend und hatte eine Zigarette in der Hand und war barfuß. August kommt gleich, sagte sie, setzt Dich so lange zu mir. Die ganze Stadt tuschelte über diese unorthodoxen Neuankömmlinge, über August und seine alleinerziehende Mutter, und sie, Susanne, saß nun mitten drin in diesem Haus, das so anders, war, als alle vermuteten und die Mutter war eine tolle Frau, bestimmt nicht das, was sich die Frauen in der Stadt böse zuflüsterten.
Susanne legt das Handtuch auf die schwarze Marmor-Arbeitsplatte – fertig – und knipst das Licht in der Küche aus. Sie ist nicht müde. Nicht heute. Sie will noch weg. Ins „Flaming Star“, die Dorf-Disko, wo heute ALLE sind, alle aus ihrer Klasse, aus den Klassen darüber und darunter, alle, die im Ort mal gewohnt haben und einmal im Jahr, an Weihnachten, heim kommen und auf die treffen, die nie weg waren. Vor allem einer ist da: Impi.
Sie weiß nicht genau, wie sie Klaus überreden soll mit zu kommen. Klaus und sie waren seit Jahren nicht im Flaming Star. Früher gingen sie jedes Weihnachten hin, immer am 24. wenn Tommy, der alte DJ auflegte, aber irgendwann…
Susanne holt zwei Schnapsgläser aus dem Kühlschrank und einen Averna. Eltern und Schwiegereltern verabschieden sich gerade, die Kinder bauen „Mensch Ärgere Dich Nicht“ auf, da sagt sie zu Klaus: Komm, lass noch einen Spaziergang machen….
Lesen Sie morgen: die durchtanzte Weihnachts-Nacht, Gefühls Achterbahn und eine böse Überraschung