Beitragsfoto: Toller Pulli, schicke Hose, alles Ton in Ton, gesehen in Mailand, Copyright: Glamometer
…immer weiter, schneller, höher, das ist das Motto unserer Zeit. Auch die Mode passt zu diesem Mantra. Streetstyle, dieser wilde Mix aus Farben, Formen, Stilrichtungen, bunten Accessoires und schräger Inszenierung, hat die letzten 5 Jahre maßgeblich beeinflußt.
„Das Laute, Schrille triumphiert über den leisen, guten Geschmack,“ stellte ich in einem Artikel für die neuste Ausgabe der Modezeitschrift „Grazia“ fest. Es ist ein Stück Selbstreflexion, die Antwort auf die Frage: kann/soll ich als erwachsene Frau die Launen der Mode mitmachen.
Die starken Reaktionen haben gezeigt, dass das ein durchaus wichtiges Thema ist, das offensichtliche viele Frauen bewegt.
Im Speziellen ging es um einen absurd häßlichen (meiner Meinung nach) Turnschuh von Gucci, den grasgrünen „Flashtrek“ mit lilafarbenem Strassgitter, den ich mir in einem Anfall von Mode Wahnsinn zulegte und nur ein einziges Mal trug – für ein Foto auf Instagram. Rausgeworfenes Geld wetterten einige Followerinnen – aber eine unbezahlbare Erfahrung für mich selbst. Seit diesem „Fehlkauf“ (der in der Glamometer Redaktion Gottseidank herausragende Dienste leistete) habe ich meine Stylings wieder dramatisch auf „normal“ reduziert. Alltagstauglich gemacht.
Die theatralischen Looks der Streetstyle- und Blogger-Szene sind instagrammable, aber überstehen oft nicht den Realitätstest. Im Kampf um Likes und Reichweite wurden die Outfits immer abstruser, denn die Streetstylefotografen – nicht unschuldig an dem Trend – lichteten nur ab, was Over-the-Top daher kam. Wie gesagt: leise Eleganz ging unter.
Mein Aha-Erlebnis hatte ich bei einem „Blogger Cocktail“ in Mailand, wo Trilliarden von jungen Frauen, alle gleich aussehend, um Einlass buhlten. Sie hatten ALLE: lange, ondulierte Wellen-Frisuren, waren extrem stark geschminkt, hatten aufgespritzte Lippen, große schwarze Hüte, extragroße Sonnenbrillen, behängt wie ein Christbaum und die Outfits waren ein Kuddelmuddel aus allem, wo ein Logo oder ein Namenszug drauf stand.
Ich flüsterte meiner jungen Kollegin „aus dem Alter bin ich raus, das ist nichts mehr für mich “ zu und sie konterte cool: „Und ich will gar nicht erst in dieses Alter kommen, das sieht ja alles grauenvoll aus!“
Des Kaisers neue Kleider – wer kennt das Märchen nicht, von Hans Christian Andersen? Es war genau DER Moment in Mailand und ich war fast dankbar für die Reaktion der jungen Kollegin. Stil hat nichts mit Lebensalter zu tun. Ein scheußlicher Look ist ein scheußlicher Look. Und auch wenn noch so viele sich scheußlich stylen, sehen sie am Ende…scheußlich aus.
Ich weiß, ich weiß, natürlich hat der „Erfolg“ der Streetstyler die Bewahrer des guten Geschmacks, die seriösen Modezeitschriften, die großen Designer-Häuser, nervös gemacht. Sie alle, WIR alle, haben sich/uns angebiedert, den Pfad der Eleganz verlassen, Streetstyle gefeiert. Welches Modehaus hat nicht auf die Schnelle einen Jogging Anzug, absurde Sneakers, Käppis, T-Shirts, Socken mit Namenszug gemacht? Welche Moderedakteurin hat nicht mit Bling Bling Mädchen geschossen, welcher Blogger hat nicht sich NOCH einen Trend ans Outfit geheftet und auf Likes gehofft?!
Doch plötzlich….sahen wir in Mailand, gerade auch wieder im Publikum, WIRKLICH toll angezogene Frauen. Ruhig, gelassen, einfach…nur….schick. So, wie man als seriöse Frau, mitten im Leben, gerne aussehen möchte. Ein cremefarbenes Kleid, toll geschnitten, eine camelfarbene Kombi, hoch luxuriös. Eine coole Jeans. Wow. Ohne Logo. Zeitlos. Weiss nicht, ob die Fotografen das alles fotografiert haben. Es ist auch egal. Man muss sich ja nur die betroffenen Profile auf Instagram abonnieren. Die „neue“ Klassik kommt dem aktuellen Wunsch nach Nachhaltigkeit entgegen. Sie ist der Gegenentwurf zur schnell vergänglichen Fast Fashion, die uns die Modehäuser andrehen (auch mir, klar) weil sie wissen, dass die Gier nach Likes auf Instagram eine Sucht ist, die nur mit neuen Click-Garanten befriedigt werden kann, Konsum erhöhen, Konsum verdoppeln, eigentlich ekelhaft.
Mich freut der Erfolg von neuen Konzepten, wie beispielsweise das meiner langjährigen Freundin Frauke Gembalies, einer hochbegabten Designerin, die mit einem Couture „Salon“, made to Order, durch Europa tourt, alles ganz fein und vornehm und auf Einladung. Es sind die luxuriösesten „Basics“, die man sich nur wünschen kann, cool und stilvoll, modern und doch zeitlos. Alles ohne Logo und doch mit einer Handschrift, die die Happy Few, die handverlesenen Kundinnen, erkennen und schätzen.
Der Erfolg von Max Mara! Warum lieben Frauen jeden Alters diese italienische Premium Marke? Wegen der ewig tragbaren Lieblingsstücke, die es dort gibt. Und ich rede nicht nur vom Teddy Coat. Es ist diese nachvollziehbare, sehr moderne Klassik in ruhiger Designsprache, aber von herausragender Qualität. Frauen, die einmal DAS kauften, kommen wieder.
Und stylen sich die Looks zu ihren eigenen. „Make it yours!“ mit schönem Schmuck, einem tollen Tuch, ja auch einer Sonnenbrille.
Und gerade als ich diese Zeilen schreibe ist die Modeschau von Céline zu Ende. Jenem Label, dass wie kein zweites für eine coole Klassik stand. Als Phoebe Philo es designte. Doch dann kam der neue Chefdesigner, Hedi Slimane, und wir alle befürchteten, er würde das Label in eine Kopie von Saint Laurent verwandeln, jenem Brand das zum gleichen Mutterkonzern gehört und dessen Chefdesigner Slimane auch mal für kurze Zeit war. Saint Laurent ist luxuriös, kein Zweifel, aber eben im realen Leben auch nicht sooooo oft tragbar. Schon gar nicht, wenn man Größe 38 und mehr trägt. Und jetzt überrascht uns Slimane mit einer grandiosen 70er Jahre inspirierten Kollektion voller schicker Karo- und Faltenröcke, voller Blazer, Jeans, Schuppenblusen. Moderne Klassik. Basics, die JEDE Frau haben will. EINFACH NUR TOLL.
Der Beginn einer neuen Ära?!
DANKE, DANKE, DANKE!!! ENDLICH!!! Sowas von überfällig! Ich habe aufgehört Modezeitschriften zu kaufen, da diese x1000mal kopierten, überall gleichen, immer bescheuerteren „Street Styles“ inzwischen einfach unerträglich sind. Es bleibt also zu hoffen, dass man auch mal wieder länger als 5 Minuten an einem Heft dranbleibt und Inspiration für einen alltagstauglichen Look findet.
Lieber Nik, Danke für die Zuschrift. Und ja, es ist zu hoffen, dass sich Modezeitschriften wieder besinnen, das zu tun, was sie können, was sie unterscheidet: stilvolle Modestrecken, die in die Tiefe gehen. Herzlichst Annette
Ich erlebe aber oft, dass die Eleganz unter der Frauen in Deutschland verpönt ist. Mit dem Begriff Eleganz wird mit dem Wort „alt“ in Verbindung gesetzt. Elegantes Etuikleid, Bleistiftröcke werden als unbequem empfunden. Die Schluppenblusen und Faltenröcke werden „omahaft“ genannt. Alle ziehen sich gleich an ( Enge Jeans unabhängig vom Alter und Figur, und in den Gürtel gesteckte Hemden, unabhängig davon, ob man einen dicken Bauch besitzt oder nicht). „Ich fühle mich nicht wohl im Kleid!“,- höre ich eine sehr reife Frau sagen. Unglaublich, dass die Frauen sich ihren Attribut ( Kleid) schämen! Darum danke ich der neuen Welle der Mode, die eine schlichte und zeitlose Eleganz bringt. Denn nichts macht älter, als der Versuch in einem schrillen Outfit jünger zu wirken!
Ich stimme zu 100% zu. Insbesondere, wenn man kurz vor der 30 steht, interessiert es nicht mehr, jeden Trend mitzumachen. Man möchte dezent, elegant, gepflegt, modisch genug und auch ein wenig individuell aussehen, der Look soll aber auf keinen Fall „Aufmerksamkeit“ schreien. Lieber ein neues Stück aus Seide oder Kaschmir, dessen Material und Verarbeitung bei jedem Tragen erneut begeistern. Und man möchte die Stilinspirationen auch nicht mehr von 20-jährigen Influencerinnen bekommen.
Was mich jedoch interessieren würde? Glamometers Meinung zum gut gekleideten Mann jenseits der 30. Denn auch da gibt der „Streetstyle“ nicht allzu viel her…
Liebe Elena, lieben Dank für Ihre Zuschrift! Es ist halt wirklich so: mit zunehmendem Alter sortiert man Prioritäten – und der heiße Scheiß für viel zu viel Geld …. den überlässt man gerne den Jungen Wilden…. Herzlichen Gruß Annette Weber