Ein neuer Scandal?
In den Achtziger Jahren schuf Jean-Paul Gaultier das Korsett mit kegelförmigem Bustier, das durch Madonna während ihrer „Blond Ambition“-Tournee 1990 zu Weltruhm gelangte. 1993 brachte er seinen ersten Duft, das floral-orientalische „Classique“, in einem Flakon auf den Markt, der aussieht wie der Oberkörper einer Frau mit spitzen, aufragenden Brüsten. Gefolgt wurde „Classique“ von „Le Mâle“ für Herren, verpackt in einem torsoförmigen Flakon. Beide zählen bis heute zu den meist verkauften Düften weltweit. 2016 erschienen die überarbeiteten Versionen der mittlerweile zu Klassikern avancierten Parfums. Nicht nur wurden die Duft-Rezepturen überarbeitet. Nein, die Torsi waren jetzt nackt!
Der neue Duft „Scandal“ aus dem Haus Gaultier setzt in seiner Formsprache noch einen drauf. Der Flakon: schweres Kristallglas mit einem Verschluss aus einer silbrigen Metalllegierung von dem die nackten, gespreizten Beine einer Frau in den Himmel ragen.
Frage: „Scandal“ erzählt die Geschichte einer Ministerin, die am Tag im Business-Anzug die seriöse Politikerin ist und nachts exzessiv und lasziv durch die verruchten Bars am Place Pigalle streunt. Wie setzt man so eine Story olfaktorisch um?
Daphne Bugey: Ich bekam von der Marketingabteilung die Story vorgesetzt und dachte sofort an Freiheit, Großzügigkeit, Sex und ein wildes Leben. Also das Gegenteil einer romantischen Pariserin. Ich kenne die Welt von Gaultier, aber das hier war eine vollkommen neue Richtung. Als erste Duftnote im Zusammenhang mit dem sündigen Nachtleben der Dame kam mir Honig in den Sinn.
Honig? Sehr ungewöhnlich …
Daphne: Er steht für die sinnliche Seite von Madame le Ministre. Und ich spreche nicht von Honig aus dem Supermarkt. Dieser hier ist süß, aromatisch, intim und sensuell, um nicht zu sagen verrucht und animalisch. Wir testeten und analysierten hunderte Sorten. Der Favorit, der das Rennen machte, ist ein Miel du Jujubier, ein Honig der roten Dattel aus dem Jemen. Er duftet süß und schmeckt milchig und karamellisiert.
Diese Note wurde dann synthetisch nachgebaut?
Daphne: Aromen, die nicht aus essentiellen Ölen gewonnen werden können, werden im Labor künstlich erzeugt. Meine Kollegen Fabrice Belgrin und Christophe Renault und ich haben vier Jahre lang an diesem Projekt gearbeitet.
Was steckt noch in „Scandal“?
Daphne: Wir addierten eine holzige Note, präzise gesagt: eine rohe Form von Patchouli. Wir fügten, gemäß dem Thema „Exzess“, der Herznote Honig eine Überdosis Patchoulol, einem hochkonzentrierten Extrakt des Patchouli, hinzu. Die seriöse Seite von Madame la Ministre wird in der Kopfnote mit Aromen von Gardenie und Blutorange unterstrichen.
Der Duft hält erstaunlich lange auf der Haut. Ich konnte ihn zehn Stunden nach dem Aufsprühen immer noch erahnen …
Daphne: Das liegt an den hochwertigen Inhaltsstoffen. Wir hatten eine Menge Geld für die Entwicklung zur Verfügung gestellt bekommen. Bei den Massen an Düften, die seite Jahren den Markt überschwemmen, muss man sich inhaltlich und qualitativ absetzen. Das ist uns gelungen.
Beim Flakon gibt Gaultier dieses Mal alles. Nach den ikonischen Torsi der Classique-Düfte, der erste kam 1993 auf den Markt, ragen bei „Scandal“ nackte silbrig glänzende Beine vom Verschluss nach oben. Wer steckte hinter dieser skandalösen Idee?
Daphne: Gaultier. Er hatte schon immer einen Sinn für Humor. Für die Umsetzung sorgte dann Flakon-Designer Marc Ange, der 2016 den nackigen Torso für den Damenduft „Classique Essence de Parfum“ kreierte. Trotz der provokant-gespreizten Beine wirkt der Flakon nicht billig, weil er aus hochwertigen Materialien gefertigt wurde. Er wirkt wie ein Kunstwerk und nicht wie ein Spielzeug.
Fakten:
Kopfnote: Gardenie, Blutorange
Herznote: Honig
Basisnote: Patchouli
„Scandal“, 30ml EdP, ca. 55 €
Fotoquelle: Instagram