Ich hasse Weihnachten. Da bin ich nicht die einzige. Glaube ich. Denn immer wenn ich mit anderen Single Frauen spreche, und zugebe, dass es mir an Weihnachten alles, außer feierlich ums Herz zumute ist, dann nicken sie wissend.
Weihnachten ist mir zu sentimental. Es ist das schönste Fest der Welt, wenn Du Kinder hast oder ein Kind bist. Dann sind alle happy und freuen sich und sind aus dem Häuschen vor Vorfreude. Aber ich? Ich hocke dann mit 36 noch in meinem alten Kinderzimmer mit den Postern und Fotos und Pokalen, daheim bei den Eltern. Sie schenken mir Kleinigkeiten, klar, aber ich bekomme eben kein Tiffany Päckchen von einem liebenden Mann, wie das in der Werbung immer als Normalzustand oktroyiert wird, ich bekomme Depressionen.
Ich bin 36 Jahre alt, sehe gut aus, bin groß, schlank und Besitzerin einer Vertriebsagentur mit 12 Angestellten. Ich fahre einen Q7 und wohne in meiner eigenen 150qm Wohnung und zwar in München Schwabing. Studiert habe ich in Paris und London und mein Freundeskreis ist so international wie meine Garderobe. Kurzum: ich bin eine Frau, die 99 Prozent aller Menschen als „toll“, „erfolgreich“ oder“Catch“ bezeichnen würden.
Aber: ich bin Single. Seit 3 Jahren. Eigentlich ein glücklicher Single mit Affären und Verehrern und es war auch ICH, die den Schlußstrich gezogen hat, unter die Beziehung zu Fred, dem Investment Banker, mit dem ich vier Jahre lang eine turbulente On- and Off Beziehung führte, wie sie in Großstädten üblich ist.
Single sein ist an 11 Monaten im Jahr kein Problem. Aber an Weihnachten ist es ein Makel. Vor allem in der Kleinstadt. In der Großstadt geht es anonymer zu, da fühlt man sich „unentdeckt“. Aber bei uns im Saarland…. Auf dem Marktplatz, wo wir immer unsere Gans holen, fragt Frau Maier, unsere Marktfrau, nein, sie fragt nicht, sie schreit es heraus und zwar jedes Jahr das gleiche: WAAAAAS? Du bist immer noch nicht verheiratet? Mit einem langen Akzent auf dem „noch“ begleitet von einem mitleidigen Kopfschütteln.
Am liebsten würde ich Frau Maier meinen Instagram Account vor die Nase halten, aber Frau Maier weiß ja nicht was Instagram ist ….. man kommt sich als erwachsene Frau vor wie einem schlechten Jane Austen Film: da trifft Stolz auf Vorurteil.
Heimfahrten an Weihnachten sind Zeitreisen in die Vergangenheit. Ich fürchte mich richtiggehend vor Joe Prascher, meinem Verehrer aus dem Mathe Leistungskurs. Joe war schrecklich verliebt in mich, aber nicht meine Liga und jetzt zahlt er mir die Abfuhr übel heim. Er hat unsere Klassenstreberin Evelyn geheiratet und ihr drei schreckliche Kinder gemacht, die im Weihnachtskonzert, wo sich der ganze Ort trifft, immer brüllen und schreien, aber das hält Joe nicht davon ab, triumphierend in meine Richtung zu gucken. Ich weiß, was er denkt…..und fühle mich als häßliches Entlein.
Am liebsten würde ich Weihnachten weg fahren. In die Südsee auf eine sonnige Insel. Aber das kann ich meinen Eltern nicht an tun, sie freuen sich auf Weihnachten und auf mich, ihre einzige Tochter, ihr ganzer Stolz.
Auf Instagram kann man ja genau sehen, wer wo die Festtage verbringt. So viele Singles posten aus coolen Yoga Retreats oder von Abenteuerreisen oder wenigstens aus einem schicken Hotel. Aber wir sind eine traditionelle Familie mit festen Riten, da kann ich unmöglich ausbrechen.
Ich liebe meine Eltern, wir haben ein super Verhältnis, verbringen im Frühjahr und Sommer auch immer ein paar Wochen zusammen in Mallorca, wo wir eine Finca besitzen. Aber diese aufgezwungene Harmonie an Weihnachten….Ostern ist anders, da sind die Tage länger und nicht so dunkel und das Jahr hat angefangen und nimmt Fahrt auf, der Sommer klopft an…
Aber an Weihnachten geht das Jahr zu Ende. Es ist die Zeit der Reflexion, des Rückblicks. Was hat man geschafft, was nicht. Und weil Weihnachten das Fest der Familie ist, treten alle anderen „Erfolge“ in den Hintergrund und ich denke nur noch an eines: ICH BIN ALLEIN! Und das ist gesellschaftlich nicht akzeptiert.
Dazu kommt, das Weihnachten die stressigste Zeit des Jahres ist. Weder besinnlich noch beschaulich. Der eigentliche Gedanke geht verloren in einer Hatz aus Terminen und Zwängen. 100 Karten schreiben, 100 Adventsessen mit Kollegen, besten Freunden, Glühwein und Plätzchen und dieser ostentativen Fröhlichkeit. Alle verfallen in Endzeitstimmung. Wollen wir uns nochmal zum Dinner treffen, zum Business-Date, zum Kaffee, zum egal was…Hauptsache getroffen. Warum eigentlich? Am Monatswechsel von Juni und Juli flippt doch auch keiner aus!?
Die Weihnachtszeit ist wie die fette Gans, die am ersten Feiertag verspeist wird, sie liegt mir schwer im Magen. Ein einziger gigantischer Planungsaufwand. Wann einkaufen, wann Wohnung sauber machen, wann Geschenke organisieren, wann letzter Arbeitstag, Du kannst auch nicht mehr spontan in Dein Lieblings-Restaurant gehen, denn alles ist restlos bis zum 6. Januar ausgebucht, es nimmt immer krassere Züge an!
Und dann: Silvester. Diese verflixte Silvesternacht. Die Angst vor dem schlimmen Moment, DEM Moment, nachts um 12 Uhr, wenn alle Paare sich seelig küssen und ich stehe allein da und denke: Scheiße.
Aber das Gute liegt nah. Ab dem ersten Januar geht es mir schlagartig besser. Wie nach einer unangenehmen Grippe: alles überstanden. Das Jahr beginnt, meine Mitarbeiter kommen aus den Ferien zurück zur Arbeit, sind entspannt und ausgeruht und ich denke dann – endlich – wieder: das Leben ist schön!
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