….Jack, der Herzensbrecher von Schwabing. Blonde Locken, ebenmäßiges, kantiges Gesicht mit kleinen Grübchen, volle Lippen, strahlend weiße Zähne. Das schönste an seinem atemberaubenden Aussehen waren seine blauen Augen, die unglaublichsten Augen, die man sich vorstellen kann. Stahlblau, stechend, allesdurchdringend, ja, und auch sexy. Diese Augen waren es , die ich letzte Woche in dem verwitterten Gesicht eines alten, stinkenden und total verwahrlosten Flaschensammlers an der Isar wieder erkannte. Er fragte, ob er unsere leeren Flaschen haben könnte. Ich drehte mich zu ihm um, schaute leicht genervt und ein bißchen verächtlich, und da schoß es mir wie ein Blitz ins Herz: der Flaschensammler war Jack, Münchens erster it-Boy.
Jack, geboren in Giesing als Kind eines Drehers und einer Arbeiterin bei Bosch, war schon mit 14 Jahren so derartig gut aussehend, dass er eine Statistenrolle in einem Film von…egal, die Geschichte von Jack ist so traurig, dass wir lieber keine Details nennen, damit er anonym bleibt.
Wir lernten uns auf dem Fußballplatz kennen, er spielte in der selben Freizeitkicker Mannschaft wie mein damaliger Freund. „Die Angeber“, so hieß die Mannschaft, traf sich einmal die Woche zum Training und spielte dann im berühmten „AZ Pokal“ mit, das war ein Turnier für Münchner Freizeitsportler von der „Abendzeitung“. Alle coolen Jungs spielten damals im AZ Pokal.
Er fiel mir sofort auf, nicht nur weil er umwerfend gut aussah, sondern weil er auch unfassbar cool angezogen war, er trug sehr enge, elegant geschnittene dunkelblaue Sportshorts und rot geringelte Stutzen. Ich wußte sofort, dass DAS Jack sein mußte, der neue Mittelstürmer, der mit seiner Lehrerin UND mit der Mutter eines Klassenkameraden GLEICHZEITIG ein Verhältnis hatte. Er war 17 und schon eine Legende.
Wir verstanden uns auf Anhieb. Ich glaube, ich war das einzige Mädchen aus seinem Umfeld, mit dem er nie im Bett war. Vielleicht waren wir anfangs sogar ein bißchen ineinander verschossen, aber es war mir klar, dass unsere Beziehung nur als Freundschaft eine Zukunft hatte, und er war nie ein großer Kämpfer – so wurden wir Kumpels.
Ich mochte seine Furchtlosigkeit, sein Draufgängertum und seine Sensibilität gepaart mit Anflügen gelegentlicher Arroganz. Und später auch die Tatsache, dass ICH die Person war, die immer wußte, mit wem er, Boy 1, gerade ein Techtelmechtel hatte, wohin er abends ausging und wie seine Pläne waren. Ich sonnte mich in seinem Glanz. Im Gegenzug schätzte er meine Loyalität, meinen Rat und meinen Humor und unsere anregenden Gespräche über Politik und Philosophie, Jack war unglaublich belesen, das kehrte er aber meistens unter den Teppich – denn er brauchte seine Intelligenz nicht, um Menschen für sich ein zu nehmen, er hatte ja seinen Charme.
Der Sommer neigte sich dem Ende zu, nach unzähligen Fussballspielen und anschließenden Besäufnissen an der Isar wurden die Jungs plötzlich ganz aufgeregt. Ein Rave, damals neu, sollte stattfinden, auf einem Feld in Oberbayern, 2 Tage sollte er dauern, eine Boys Only Angelegenheit mit zelten und grillen und die „Spielerfrauen“ sollten daheim bleiben. Ich weiß nicht mehr warum es so kam, jedenfalls fuhren am Ende Jack und ich alleine zu dem Rave.
Wir packten unser Zelt in meinen kleinen Fiat Uno und fuhren in unser erstes gemeinsames Abenteuer. Schon unterwegs tranken wir Jackie Cola und aßen Gummibärchen, es war total lustig und süß. Vor Ort war die Hölle los, es war irre heiß, die Sonne brannte und am Einlass herrschte komplettes Chaos, wir standen eine Stunde in der Mittagshitze, bekamen dann aber doch noch gerade noch so einen Zeltplatz zu gewiesen. Wir bauten hastig auf und gingen zum DJ, den Jack irgendwie kannte. Überraschung! Wir durften Backstage. Mein erstes Mal hinterm DJ Pult, VIP, ich war on Fire, ich fühlte mich wie im Himmel. Backstage gab es alle Drinks for free und wir tranken weiter und tanzten bis das Set zu Ende war. Als die Sonne unterging spielten sie Deep House, es war komplett romantisch und Jack kam immer näher und als ich dachte, dass er mich küssen will, steckte er mir eine kleine Pille in den Mund. Ich wußte, was das war. Ich hatte davor und auch danach nie mit Drogen irgendetwas zu tun gehabt und nüchtern hätte ich die Pille auch niemals geschluckt. Aber in der Situation war mir alles egal.
Die Wirkung war toll. Mich überkam ein unbeschreibliches, warmes, liebevolles Glücksgefühl, ich hätte die Welt umarmen können – statt dessen umarmte ich Jack. Wir standen stundenlang einfach nur da und berührten uns. Zart und weich und unschuldig. Zum Takt der Musik. Es war wunderschön und berührend ging ganz ganz tief. Ich habe nie wieder im Leben so eine innige Zuneigung verspürt. Und als die Sonne wieder auf ging, schlenderten wir ins Zelt, ich legte mich in seinen Arm und wir knutschen ein bißchen und irgendwann schlief ich selig ein.
Als ich wieder wach wurde, regnete es draußen, Jack war nicht da und ich hatte einen fürchterlichen Brummschädel und Kreislaufprobleme. Ich rannte zum DJ Pult, dort standen alle dicht gedrängt, denn es war überdacht, aber aber da Jack nicht. Er war auch nicht beim Bier-Stand, beim Kaffee-Stand und auch nicht im Essens-Zelt. Jack war weg. Damals gab es keine Handys, ich war komplett auf mich gestellt und überfordert mit der Situation. Es goss in Strömen, ich war naß, ich fror, was tun? Ausharren bis er kam? Oder war er schon abgereist? Ich wartete noch eine Weile, dann packte ich mein Zelt zusammen und schleppte das schwere Ding alleine den weiten Weg zurück zum Auto und fuhr nass, verdreckt und heulend heim nach München.
Erst eine Woche später rief Jack bei mir an. Er war in der Nacht, als ich eingeschlafen war, wieder zum DJ gelaufen, hatte noch eine Pille genommen und dann einen „Typen“ kennen gelernt und als es zu regnen anfing, war er zu dem „Typen“ ins Zelt…da wußte ich schon, das war gelogen oder es war geschwindelt, denn es stimmte nur zur Hälfte, und ich wußte auch, dass Jack den Rest seines Lebens es genau so handhaben würde: Kommt was besseres, ist er weg. Was ich nicht ahnte: diese Nacht war auch der direkte Weg ins Jacks übermäßigen Drogenkonsum, der mit dieser Extasy Pille begann und später in einer unheilbaren Alkohol- und Kokainsucht endete.
Wir verloren uns danach – das erste Mal von vielen Malen- komplett aus den Augen. „Die Angeber“ lösten die Mannschaft auf, weil die Jungs zum Studium gingen und Jack…. zog bei dem „Typen“ ein, den er auf dem Rave kennen gelernt hatte. Es war die Tochter eines berühmten Anwalts, verwöhnt und wohlhabend, 5 Jahre älter wie er und ausgestattet mit einem eigenen Apartment in Schwabing. Bald sah man Jack mit ihrem Auto herum flitzen, einem zitronengelbem Spider Cabrio. Die Schule hatte er abgebrochen und jobbte als Runner, dann als Barkeeper in einer angesagten Underground-Bar.
Der verlumpte Flaschensammler an der Isar war Jack, jener Jack, der damals aus unserem Zelt ausbüxte um die Welt zu erobern. Ich fragte mich für einen Sekundenbruchteil, wie sein, wie unser Leben weiter verlaufen wäre, wenn Jack bei mir im Zelt geblieben wäre….
Lesen Sie morgen:
Jacks Aufstieg zum it-Boy, seine Karriere im Nachtleben, seine ersten Drogenexzesse – und Begegnungen mit der Polizei
Fotoquelle: Instagram