Digital Detox. Schon mal von gehört? Ein Tag, eine Woche oder auch länger nicht erreichbar sein. Traum oder Albtraum?
Ich bin ein Early Bird, ein früher Vogel, um 6 Uhr klingelt mein Wecker, da brummt es auch schon von der linken Bettseite, weil ich „schon wieder am Handy“ hänge, BESCHWERDE!!!!, aber was soll ich machen, unser Wecker ist das Smartphone….
Ich checke meine Mails, lese die Tageszeitungen, organisiere meinen Kalender, gucke Fußball, höre Podcasts, arbeite auf Instagram – alles mit meinem Telefon. Es ist ein iPhone 8 Plus, ich bin eigentlich ganz zufrieden. Nicht zufrieden ist mein direktes Umfeld, weil das Umfeld der Meinung ist, ich sei „Handy süchtig“.
Das führt zu regelmäßigen Streits, weil das Umfeld beim morgendlichen Zeitung lesen einfach nicht checkt, dass ich ebenfalls den intellektuellen Diskurs zwischen Durs Grünbein und Uwe Tellkamp verfolge und ergo nicht verdumme, nur weil MEIN Informationsmedium ein elektronisches ist.
Früher wurde behauptet, dass Fernsehen dumm macht, mit dem Aufkommen der privaten TV Sender gar der Untergang des Abendlandes prophezeit. So ist es jetzt mit Handys und Computern. Noch vor kurzem galt es auf der ehemaligen Schule meines Sohnes als verpöhnt, einen Computer zu besitzen, wenn man doch sein Gehirn benutzen kann. Wir staunten nicht schlecht, als mit dem Wechsel auf die neue Schule das persönliche Laptop überreicht wurde. Coden, programmieren, Bildbearbeitung, Videoschnitt, Tontechnik, Recherche, all das lernen „wir“ jetzt und es öffnen sich phantastische Möglichkeiten. Auch die Kommunikation mit den Lehrern läuft schnell und direkt per „itslearning“ und ich weiß zu jeder Zeit, welche Hauaufgaben fällig sind und wie die Notensituation aussieht. Alles transparent.
Aber hier geht es nicht um die Vorteile von Digital versus Analog, es geht um die Nachteile permanenter Erreichbarkeit. Reziprok. Ich kann jeden erreichen, jeder kann mich erreichen. Schatz, kannst Du nicht mal EINEN Tag ohne Handy?……….
Also okay, ich versuch’s. 24 Stunden lege ich mein Handy weg.
(Schon die erste Schwindelei. Ich habe mein Handy nämlich nicht „weg“ gelegt. Ich hatte es die ganze Zeit in meiner Nähe, falls doch etwas sein sollte…. zur Beruhigung….)
Nach meinem Instagram Post, kurz vor 7 Uhr, lege ich mein Handy….ja halt „weg“. Ich schalte es nicht aus, ich hätte ein mulmiges Gefühl. Frühstück läuft prima, kein Stress, wir lachen und scherzen, jeder liest irgendwas in seiner Lieblingszeitung, dazwischen diskutieren wir über die Mannschaftsaufstellung von Jogi Loew und Angela Merkel. Vermisse ich mein Telefon? Eigentlich nicht, es ist sogar ganz chillig, nicht ständig zu checken, wieviel Likes oder Kommentare schon rein gekommen sind.
Mittlerer Vormittag. Das Kind fährt zu den Großeltern in die Osterferien, auf dem Weg zum Bahnhof ist ein Unfall mit Stau, die Zeit wird knapp, wir müssen den nächsten Zug nehmen. Wann fährt der denn? ICH kann’s jedenfalls nicht checken, mein Smartphone ist aus…..aber das vom Sohn „on“ und der nächste ICE fährt schon 20 Minuten später, die Großeltern schnell verständigt, was wäre man ohne….Telefon????
Nachmittag. Ein fauler Samstag in der Stadt. Wir schlendern durch den Englischen Garten, sitzen ewig am China Turm, trinken Weißbier und geniessen die warme März Sonne. Herrlich gemütlich, die Blasmusik spielt…und mir fällt ein, dass ich noch eine „Story“ posten sollte. Habe die Zugangsdaten zu meinem Account im Kopf….könntest DU bitte…es klappt…später bummeln wir durch die Maximilianstrasse und ich kaufe ein paar Schuhe, habe aber den Pincode meiner neuen Kreditkarte vergessen. Der steht….im Telefon. Scheiße. Zahle bar, geht doch!
Viktualienmarkt, Gärtnerplatzviertel, der Nachmittag gleitet in den Abend, ich komme mir vor, wie eine Studentin, frei und ohne Hektik. Keiner ruft an, macht Stress, will irgendwas, was nicht auch morgen erledigt werden könnte. Wir ziehen durch die Stadt, durch die Nacht, wir lassen uns treiben, es ist herrlich. Es ist ein lustiges Gefühl ohne Handy. Ich tue etwas Verbotenes, was Spaß macht. So wie früher, als man heimlich rauchte oder Alkohol trank. Noch ein Bier und noch eins, wir kehren heim um, keine Ahnung, ist ja auch egal, wir sind entspannt und happy. What a Day!
16 Anrufe in Abwesenheit, 8 Messages auf WhatsApp – als ich heute morgen mein Telefon wieder in Betrieb nehme, bekomme ich ein schlechtes Gewissen und schlechte Laune.
+ Eine alte Schulfreundin war auf dem Weg in die Skiferien spontan über München gefahren und hätte mich gerne getroffen….
+ Ein geplanter Termin muss auf Montag vorverlegt werden, ich müßte mich aber GELICH entscheiden, ob das klappt…
+ Sohn ist gut angekommen….Mama liegt mein Auflagekabel noch im Auto?
+ Steht die Location fürs Shooting am Montag, fragt die Geschäftspartnerin, sie hätte eine Alternative, ich soll mich melden
+ Stehe im Supermarkt, schreibt die Freundin, die man zum Sonntags Kaffee treffen will, soll ich Kuchen backen oder bringst Du mit?…???….Bitte melde Dich doch kurz!!!!Klappt das morgen nicht????? Warum meldest Du Dich denn nicht???????
+ Pfeffi für Netti, 23.30 Uhr sharp, schreibt Tobi, der Barkeeper vom, ja, es gibt auch Messages, die man besser erst man nächsten Morgen liest, wenn man nüchtern bleiben will, aber…..
…insgesamt ist es heute wirklich so: jeder „Termin“ muss doppelt und dreifach bestätigt und abgesichert werden. Früher sagte man, nächste Woche um 3 bei Dir, und dann war das fix. Heute ist eine „feste“ Verabredung nur ein lockerer Vorschlag. Überhaupt werden Verabredungen ausgesprochen spontan ausgemacht. Keiner will sich mehr fest legen.
Und alle sind beunruhigt, wenn sie Dich nicht sofort am Telefon erwischen oder Du nicht innerhalb weniger Minuten antwortest.
Ich fühlte mich – trotz Entspannung – gleichzeitig auch amputiert ohne Handy, Fotos, die man tagsüber macht, kleine Notizen, die aktuellen Nachrichten…..
Das schlimmste an meinem Kurz-Detox war aber, dass ich jetzt die ganzen Brände löschen muss. Die vielen offenen Fragen beantworten muss, vor allem aber die von anderen getroffenen Entscheidungen oder Nicht-Entscheidungen auslöffeln kann…..
Mein Learning: Digital Detox ist entspannend und cool. Ich werde das künftig öfter machen. Aber ich werde es ankündigen. Liebe Freunde, ich bin dann mal weg…..